Robin Hinsch
KOWITSCH 2010-2022
Das fotografische und filmische Projekt KOWITSCH entstand 2010 bis 2022 in einer Nation, die in der jüngsten Geschichte und Gegenwart wie keine andere in Europa durch Grenzverschiebungen und damit verknüpfte Kriege geprägt ist. Die Ukraine liegt in einem Gebiet, das von »Phantomgrenzen« durchwirkt ist, »frühere, zumeist politische Grenzen oder territoriale Gliederungen, die, nachdem sie institutionell abgeschafft wurden, den Raum weiterhin strukturieren«. Diese werden heute von russischer Seite als Narrativ einer schlummernden russischen Identität zur Legitimierung des Angriffskrieges, der militär- und machtstrategische Ziele verfolgt, politisch instrumentalisiert. KOWITSCH lädt dazu ein, den Blick und die Aufmerksamkeit in der Zeit ausdehnen. Die Aufnahmen zeigen die kriegerische Zerstörung anonym wie eine Flut oder einen Vulkanausbruch, denn der „Gegner“ bleibt in den meist einsamen Szenerien ungesehen. Die Geschosse, abgefeuert aus der Ferne und motiviert durch machtstrategische Überlegungen des Kreml, schlagen in die Wohnviertel und Einkaufszentren der portraitierten Menschen ein, die Robin Hinsch seit 2010 fotografiert hat. Der Kontrast zwischen moderner Architektur, einsamer Stadtlandschaft und Zerstörung assoziiert Szenen aus dystopischen Filmen. Denn nicht die Wirklichkeit, sondern primär das Kino Hollywoods produzierte in den letzten zwei Jahrzehnten Bildwelten, in denen Menschen in Europa und mit „westlichem“ Lebensstil von Krieg und Zerstörung dieses Ausmaßes betroffen sind. Entkleidet steht die Shopping und Business Mall Retroville als offenes Gerippe auf einem weiten, von Trümmern und Rauch übersäten Platz in Kyjiv. Seit 2020 bildete sie das neue Shoppingerlebnis der Stadt, bis sie am 20. März 2022 vom russischen Militär durch einem Raketenangriff zerstört wurde, bei dem acht Menschen ihr Leben verloren. Die offen stehende Tür eines zurückgelassenen Van sowie die aufgerissene Curtain Wall des Hochhauses starren wie aufgerissene Augen unter dem hellblauen Himmel ins Sonnenlicht. Eine weitere Aufnahme eines Einkaufszentrums in Kyjiv zeigt die eingestürzten Metallstrukturen des Warenhauses der Lavina Mall. Die Komposition zeigt unterschiedliche Ebenen des Materials, verbogene Metallstrukturen von denen noch Rauch aufsteigt und die wie Hügel im Nebel anmuten.Robin Hinsch
*27.01.1987, Deutschland Ausbildung / Education : 2020 BA / MA an der HAW Hamburg bei Prof. Ute Mahler & Prof Vincent Kohlbecher, Fotografie. 2009-2011 Hochschule Hannover bei Prof. Ralf Mayer, Fotografie. 2008 HfG Karlsruhe bei Prof. Elger Esser, Fotografie.Links: Retroville, Kyiv, Ukraine, 2022.
Mitte: Daniel, Beograd, Ukraine, 2012. Rechts: Lavina, Kyiv, Ukraine, 2022.