Johannes Weilandt
Statement
Aufgrund einer angeborenen Lippen-Kiefer-Gaumenspalte und zahlreichen Operationen seit meinem ersten Lebensjahr haben sich insbesondere medizinische Einrichtungen in mein physisch-mentales Gedächtnis eingeschrieben. Von dieser Grunderfahrung ausgehend befrage ich in seriellen Zeichnungen, auf welche Weise sich Institutionen in unsere Körper einschreiben, sie repräsentieren und prägen. Ich glaube dies nur im zeichnerischen Prozess ausdrücken zu können, in dem sich auch der eigene Körper unmittelbar in die zeichnerische Geste übersetzt und darin refektiert. Jeder Serie gehen Recherchen in diversen Sammlungen und Archiven voraus. So vertiefe ich bspw. seit 2023 den interdisziplinären Austausch mit dem Institut für Geschichte und Ethik der Medizin des UKE Hamburg und der Charite Berlin.
Hierbei habe ich zu Zusammenhängen von körperlichen Erkrankungen und sozialen Lebensumständen recherchiert. Aus der Recherche ging u.a. die Serie NEKROSEN hervor. Sie setzt sich mit der Ambivalenz medizinhistorischer Porträtzeichnungen und Fotografien von Zündholzfabrikarbeiter:innen aus dem 19. Jahrhundert auseinander. Durch das Einatmen giftiger Dämpfe erkrankten sie meist tödlich an einer Phosphornekrose, die sich über
die Mundhöhle ausbreitete und das Gesicht vollkommen entstellte. Die Serie NEKROSEN verzichtet bewusst auf persönliche Wiedererkennbarkeit der Betroffenen und greift hingegen in fragmentarisch-verdichteten Zeichnungen den kaum sichtbaren Beginn der Phosphornekrose in der Mundhöhle auf. Der körperlich-intime Raum der Mundhöhle wird durch die ovalen Passepartouts zum intimen Bildraum der einzelnen Zeichnung. Zugleich zitieren die Passepartouts ihren gängigen, privaten-, wie institutionellen Gebrauch für Porträtdarstellungen im ausgehenden 19. Jahrhundert und hinterfragen das Verhältnis von institutioneller Systematisierung und individuellem Schicksal.
Meine verschiedenen, seriellen Arbeiten stehen zueinander immer wieder im Verhältnis von Mikro-und Makrokosmos, von Nähe und Distanz. So setze ich mich auch mit Darstellungen von Krieg in der Kunst und Gewalt in der Abstraktion auseinander, wie bspw. in der Serie „XCI|XCIX“. Diese beruht auf maschinell-erzeugten Bildern aus dem Golf- und Jugoslawienkrieg der 90er Jahre, die als prägende, mediale Rezeptionserfahrung im Fernsehen übertragen wurden. Aus einer gesammelten Auswahl an Projektilaufnahmen im Zielanflug wurden Video-Stills angefertigt und als Zeichnung in jeweils bis zu zwölfstündigen Durchläufen auf Papier übertragen. Die Verfremdung durch körperlich-gestische Wiederholung in der Zeichnung befragt die entkörperlichten Bilder und ihre Funktion zur Aufzeichnung von physischer Auslöschung. Zugleich wird die Zäsur einer medialen Rezeption erinnert, bei der zunehmende Unmittelbarkeit immer abstraktere Bilder hervorbringt. Die Serie wurde u.a. für den Preis des Haus am Kleistpark 2022 nominiert und erscheint dieses Jahr als künstlerischer Beitrag in „The realities of autonomous weapon systems“, (Bristol University Press).
Vita
Johannes Weilandt, *1991, lebt und arbeitet als Bildender Künstler in Berlin. Er ist Mitglied im VGBildkunst und der Internationalen Heiner Müller Gesellschaft.
A U S B I L D U N G
2022 - Meisterschüler Freie Kunst | Bildende Kunst bei Prof. Else Gabriel und Prof. Peter Schubert, Kunsthochschule Berlin Weißensee
2016 - Studium Malerei, Zeichnen, Transmedia, bei Prof. Mileta Prodanović, Biljana Đurđević und Prof. Zoran Todorović, Universität der Freien Künste Belgrad
2015 - Gasthörer Malerei | Zeichnen, bei Prof. Mark Lammert, Universität der Künste Berlin
2011 - 2017 - Studium Freie Kunst | Bühnen- und Kostümbild, Kunsthochschule Berlin Weißensee
Links: XCI|XCIX, 2020, je 21 x 29,7 cm, Graphit auf Papier.
Mitte: NEKROSEN, 2023, je 30 x 24 cm, Buntstift auf Fotokarton + Passepartout
Rechts: Nr. IX ERFASSEN UND VERGEHEN, 2023, je 30 x 24 cm, Graphit auf gelochtem Aktenpapier