Ines Spanier
Statement
In meinen Arbeiten geht es mir um die grafische Abtastung menschlicher Alltagsspuren und deren Übersetzung in einen imaginären, archäologischen Tiefenraum. Ich verwende dafür eigene Fotos von Oberflächen und Strukturen aus meiner alltäglichen Umgebung. Auf diese Weise entstand innerhalb der letzten Jahre ein stetig wachsendes Archiv von Vorlagen, die mir als Motive dienen. Aus diesem Archiv wähle ich Fotos eines bestimmten Themas aus, die mir interessant erscheinen und die ich in der Zeichnung weiter ergründen und erforschen möchte.
Bevor ich eine neue Zeichnung beginne, habe ich nur eine grobe Vorstellung davon, wie das fertige Bild aussehen könnte. Ich gehe sehr intuitiv vor. So wähle ich ein Foto aus, das mich besonders fasziniert und beginne mit der Übertragung eines Ausschnitts mit dem Bleistift auf das Papier. Von dort aus arbeite ich mich immer weiter vor, mache Halt, sobald mich ein Foto nicht mehr länger reizt, und wähle ein Neues aus, das ich mit der angefangenen Zeichnung kombiniere und collagiere. Auf diese Weise verhält sich die Arbeit wie ein lebender Organismus, der stetig wächst und neue Formen und Gebilde entwickelt, die sich von dem ursprünglichen Motiv immer weiter entfernen. Die Motive suche ich mir nie gezielt aus. Sie begegnen mir vielmehr zufällig, in meinem Alltag oder auf Reisen, springen mich quasi an. Dieses Element des Unerwarteten, des Nicht-Intentionalen und Aleatorischen ist mir sehr wichtig in meiner Arbeit. Es geht mir nicht um Inszenierung und Komposition, sondern um einen sich quasi selbst steuernden morphogenetischen Prozess, um ein Zeichnen, das im Detail und im Moment mimetisch erscheint, aber in der Dauer ein unendlich langsames, automatisches Schreiben ist.
Zeit spielt eine essenzielle Rolle in meinen Zeichnungen. Die Motive, die mich beschäftigen, repräsentieren ganz unterschiedliche temporale Ebenen: Die Fließzeit eines Kaffeflecks auf den abrupten Kratzspuren in den über Jahrzehnte gewachsenen Maserungen eines Holztischs beispielsweise. Die lange Dauer der grafischen Übertragung und Neuentwicklung transponiert diese Schichtungen dann in eine weitere Zeitebene. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass die Betrachter diesen Arbeiten dann mit ganz unterschiedlichen Rezeptionszeiten begegnen. Manche versuchen sie wie eine Karte auf einen Schlag zu erfassen, viele beginnen jedoch auch darin zu „lesen“ wie einen Roman.
Was alle Motive, die mir als Vorlage dienen miteinander verbindet und den Kern meiner Arbeit bildet, ist die Konservierung und das Einfangen menschlicher Spuren So beschäftigt mich seit einigen Jahren die mir allgegenwärtige Frage: Was bleibt von einem Menschen übrig? Mein Interesse gilt seit jeher den Spuren und Abdrücken, die ein Mensch auf Erden hinterlässt. Und seien es so banale Dinge wie Kratzspuren auf einem Tisch oder ein von Rostspuren umsäumtes
Bohrloch in einem Stück Metall. Alltägliche Spuren, die durch die vergangene Zeit ein eigenes Muster, eine neue Struktur entwickelt, und so wiederum ein neues Bild für sich entworfen haben. Um eben diese Bilder geht es mir in meiner Arbeit. Um das Herauskristallisieren solcher Zeit-Spuren und Zeit-Zeugnisse von Menschen und deren Essenz in Form einer Zeichnung, die verschiedene Fotos dieser Spuren miteinander kombiniert, in eine weitere Ebene zu überführen.
Durch die konsequente Präzision und Exaktheit, die ich mir während des Zeichnens als Ziel setze, nimmt die Arbeit an einem Bild sehr viel Zeit in Anspruch. Und so materialisiere und konserviere ich meine eigene Lebenszeit in der Übersetzung von dem Foto auf das Papier. So wie die Motive selbst Zeit brauchten, sich zu entwickeln, wie ich sie letztendlich vorgefunden und eingefangen habe, können, je nach Format und Größe einer Zeichnung, viele Monate oder Jahre vergehen, bis sie für mich abgeschlossen ist.
Vita
Ines Spanier, geb. 1988 in Meerbusch,
Lebt und arbeitet in Berlin.
Studium
2016 - 2018 Meisterschülerstudium, Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, Prof. Ingo Meller, Malerei/Grafik
2014 Gastsemester, Bezalel Academy of Fine Arts and Design, Jerusalem
2009 – 2016 Studium Bildende Kunst (Diplom), Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, Prof. Volker Lehnert und Prof. Alexander Roob, Freie Grafik
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Links: 36, Rue Popincourt, Bleistift und Buntstift auf Papier,80 x 102 cm, 2024
Mitte: 35, Rue de l‘hotel de ville II, Bleistift und Buntstift auf Papier, 23,5 x 46,5 cm, 2023
Rechts: 35, Rue de l‘hotel de ville, Bleistift und Buntstift auf Papier, 47 x 42 cm, 2023