Vernissage
Do. 29. Oktober 2020 19.30
Franziska Beilfuß
ILLICO: Vibrierendes Jetzt
Der Besuch der Ausstellung ist im November und Dezember 2020 nach Vereinbarung am Freitag von 14-18 Uhr und Samstags und Sonntags möglich.
Die Berliner Malerin Franziska Beilfuß (*1986) wird ab dem 29.10.2020 mit ihrer neuen Werkreihe ILLICO im Centre Bagatelle präsentiert.
In ihrer großformatigen und farbstarken Malerei widmet sich Beilfuß Prinzipien und Prozessen der Transformation. Die Meisterschülerin der Universität der Künste Berlin untersucht die Zwischenräumlichkeit als Ort der Wandlung und Auflösung der Gegensätze. Mit ILLICO schafft Beilfuß aus sich selbst speisenden Farbfeldern malerische Kraftgefüge. Farben und Formen unterziehen sich in ILLICO einer Art doppelter Drehung:
Das Verhältnis zwischen Innen und Außen muss in diesen Bildern immer neu gefunden werden. Diese Bilder sind Vexierspiele des Auftauchens und Verschwindens. Durch die gestische Schichtung von Farbe entstehen Überlagerungen und Übermalungen. Das erneute Hervortreten des Verborgenen durch Transparenzen fordert einen steten Abgleich der räumlichen Relationen durch Farbe heraus.
Schon seit 2018 entstehen großformatige Ölgemälde unter den Werktiteln KOKON und DOPPELGÄNGER, in denen sich die Künstlerin mit Themen der Wandlung, Transparenz, Dynamik und Bewegung beschäftigt. ILLICO ist Jetzt!, Sofort! die logische Fortsetzung dieser malerischen Arbeit.
Dauer der Ausstellung von Freitag, 30. Oktober 2020 bis Sonntag, 17. Januar 2021
Einführung: Paul Nolte
Musikalische Begleitung: Daniel Casimir, Posaune
Künstlergespräch: Christa Nagel, Mittwoch, den 06. Januar 2021, 19.30 Uhr
Paul Nolte
Illico: Vibrierendes Jetzt
Zur Einführung in die Ausstellung von Franziska Beilfuß
Liebe Freundinnen und Freunde der Kunst, der Malerei von Franziska Beilfuß und dieses schönen Ortes, des Centre Bagatelle im hohen Norden Berlins,
Mein sehr verehrten Damen und Herren,
Liebe Franziska,
Ich freue mich sehr, zur Eröffnung dieser wunderbaren Ausstellung hier im Centre Bagatelle zu Ihnen sprechen zu können! Wir wissen alle, dass dieser übliche erste Satz einer Eröffnungs- oder Begrüßungsrede derzeit keine Floskel, keine Selbstverständlichkeit ist. Wir haben seit Wochen gebangt, und noch einmal besonders intensiv in den letzten Tagen, ob diese Eröffnung hier am Ort, als eine „Präsenzveranstaltung“, wie man sich zu sagen angewöhnt hat, möglich sein würde. Jetzt sind wir dankbar und erleichtert, dass es so weit ist. Die in die Zukunft gerichtete Vorfreude verwandelt sich in diesem Augenblick in die Freude der Teilhabe: Wir sind JETZT HIER ZUSAMMEN, umgeben von der ausdrucksstarken Malerei von Franziska Beilfuß, in einer Ausstellung, die von diesem JETZT handelt und uns auffordert, uns darauf einzulassen. Auch von mir dafür ein herzlicher Dank an die Organisatoren, an den Kunstverein Centre Bagatelle!
Vor gut zwei Jahren bin ich Franziska Beilfuß und ihren Bildern zuerst begegnet, auf dem Sommerrundgang der Universität der Künste im Juli 2018, wo sie als Meisterschülerin und Absolventin ausstellte. Von den dort gezeigten Bildern ging für mich eine unmittelbare Faszination aus, und das nicht nur, weil sie in ihrer Machart, in ihrer handwerklichen Qualität, in ihrer Reife vieles von dem überstrahlten, was es in diesem wunderbaren Kunsttrubel sonst noch zu bestaunen gab. Damals waren das Arbeiten aus den Serien „Doppelgänger“ und „Kokon“, die ich bald auch in einer Ausstellung in Charlottenburg und in ihrem Atelier – damals in einem verwunschenen Häuschen in Kleinmachnow, am ganz anderen Rand der Stadt – bewundern konnte.
Franziska Beilfuß arbeitet in Serien, stellt ihr Schaffen bewusst unter ein Rahmenthema, ein Motiv, wobei das keine strikt verstandenen, gar nummerierten Werkserien sind und die Übergänge zwischen den Serien fließend. Für mich war es ganz spannend zu verfolgen, wie aus einer Kunststudentin eine freischaffende Künstlerin wird, wie sich der Schritt aus den Arbeitsräumen der Hochschule in die Selbstständigkeit des eigenen Ateliers vollzieht, in dem Sie Franziska Beilfuß seit einiger Zeit im Kunstzentrum in Tegel besuchen können.
Ebenso spannend war es, der Weiterentwicklung ihrer Malerei zu folgen. Die Bilder der Serie „Kokon“ vor zwei, drei Jahren strahlten mehr Ruhe aus, mit einer klaren, teilweise an geometrische Formen angelehnten Komposition, mit ein oder zwei Leitfarben – hier ein eher in Blau, dort ein eher in Orange getöntes Bild. Aber man sah damals schon, dass man auf eine monochromatische Arbeit von Franziska Beilfuß wohl vergeblich warten würde. Die farbliche oder kompositorische Reduktion um ihrer selbst willen ist ihr künstlerisches Anliegen nicht.
Auf ihrem Weg durch das 20. Jahrhundert hat die moderne Malerei alle formalen Grenzüberschreitungen längst durchdekliniert: in der radikalen Abstraktion, in der Chromatik, in den Techniken, mit denen die Farbe auf die Leinwand kommt, in der buchstäblichen Sprengung des Rahmens, wenn sich eine Malerei auf den Wänden der Galerie oder des Museums fortsetzt. Aber die Malerei ist am Anfang des 21. Jahrhunderts deswegen nicht in eine Sackgasse geraten, und schon gar nicht tot. Sie ist eben nicht zur Konvention erstarrt, sondern hat sich, jenseits der längst klassisch gewordenen Avantgarden, neue Freiheiten erobert. Von dieser Freiheit der Malerei sprechen die Bilder von Franziska Beilfuß.
„Illico“, so nennt sie eine neue Serie von Bildern, aus der eine Auswahl in dieser Ausstellung versammelt ist. Wer ihre früheren Arbeiten kennt, wird die Veränderungen bemerken. Der Gestus ist expressiver, die Farben leuchten noch kräftiger. Komplementärfarben treffen aufeinander, während zugleich ein Blau, ein Grün, ein Orange in allen Nuancen durchdekliniert wird. Die Kompositionen erscheinen wie entfesselt, sie sprengen förmlich die Grenzen der Leinwand – nicht nach außen, über ihre Ränder hinaus, sondern nach innen. Erst wenn man den Bildern, den Leinwänden näher tritt – tun Sie das, dafür gilt nicht das Abstandsgebot von einem Meter fünfzig! –, bemerkt man, dass dieser expressive Gestus kein flüchtiges Hinwerfen ist, sondern Ergebnis harter und sorgfältiger Arbeit, die in vielfältigen Übermalungen sichtbar bleibt, in komplexen Schichtungen des Farbauftrags, die in reizvolle und produktive Spannung zu dem ersten Eindruck, den man als Betrachter gewinnt, treten. Wenn man mit einem Bild von Franziska Beilfuß lebt, wird man darin jeden Tag etwas Neues entdecken.
„Illico“, sofort, so sagt man auf Französisch, wenn etwas auf der Stelle, in diesem Augenblick geschehen soll. In den Bildern dieser Serie tritt das Jetzt, tritt die Präsenz der Gegenwart schärfer hervor als in ihren früheren Arbeiten. Aber „Illico“, das meint kein festgefrorenes, kein statisches Jetzt, keinen Ruhepunkt. Wenn man das zu jemandem sagt, dann soll sich etwas ändern, und zwar schnell, und nicht nur ein bisschen. Die Malereien von Franziska Beilfuß sind Bewegung, für den Moment festgehalten auf der Fläche der Leinwand. Im nächsten Moment könnte es schon ganz anders sein. Diese Bewegung plätschert nicht leise dahin, sie ist kraftvoll, sie stülpt die Verhältnisse um, von außen nach innen, von vorne nach hinten.
Dieses Grundmotiv steckte bereits in früheren Arbeiten: So verweist der „Kokon“ auf die dynamische, am Ende explosive Verwandlung des Zustands eines Lebewesens, also gerade nicht auf das Eingesponnensein der Seidenraupe in Unbeweglichkeit, sondern auf die Metamorphose, auf die Umstülpung der Existenz. „Torus“ heißt eine ihrer Arbeiten – ein Torus, das ist ja die Gestalt eines Donuts, die sich rasant dreht, in der Innen- und Außenflächen turbulent ineinander übergehen. Dynamisch: das kommt von dem griechischen dynamos – und das heißt nicht Bewegtheit, sondern Kraft. Die Bilder von Franziska Beilfuß sind Momentaufnahmen von Kraftgefügen. Sie lassen uns nicht kalt, ihre Spannung überträgt sich auf den Betrachter.
Denn „Illico!“, das ist ein Appell an eine andere Person: Tue dies, bring mir jenes! „Illico“, jetzt, auf der Stelle! In den Malereien von Franziska Beilfuß ist diese andere Person die Betrachterin des Bildes. Aber was heißt das? Probieren Sie es aus, wenn Sie durch die Ausstellung gehen. Wenn Sie sich darauf einlassen, treten die Bilder auf Sie zu, nein, die Bilder sprechen Sie an, werden geradezu übergriffig. Das kann ein schöner Moment des Einswerdens sein. Aber es ist nicht harmlos und wohlgefällig, sondern reibt zugleich, erzeugt Spannungen, in den Farben, in den Flächen. Einer Provokation in der äußeren Form bedarf es dazu nicht mehr.
Wie nicht selten in der zeitgenössischen Malerei, stellt Franziska Beilfuß die Grenzen zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion auf die Probe; sie existieren nicht mehr. Sind das farbliche Gesten auf der Leinwand, Arrangements von Farbe, Form und Fläche? Oder erkenne ich hier eine Landschaft, dort ein Gesicht, hier ein Fabelwesen, dort eine antike Szenerie? Es gibt da nichts Endgültiges zu entdecken oder herauszufinden. Keine Festlegung – diese Bilder sind wie Kippfiguren, die uns in einem Moment dies, im anderen Moment etwas anderes sehen lassen. Da war ein Tier, jetzt ist es wieder verschwunden. Das war der Vordergrund, jetzt hat er sich nach hinten gedreht. So dreht es sich immer weiter, und das Jetzt hört nie auf.
Jedenfalls, solange wir in dieser Ausstellung sind, von diesen Bildern umgeben. Mir scheint: Wir brauchen das, ganz besonders in dieser seltsamen Pandemie-Notlage, die in vielfältiger Weise von unserm Denken Besitz ergreift. Am Montag werden die Fensterläden erst einmal geschlossen, auch für Veranstaltungen wie diese, überhaupt für Kultur und Kunst. Kein Theater, kein Konzert, keine Vernissage. Damit Weihnachten in den Familien gefeiert werden kann. Im nächsten Jahr hoffentlich der Impfstoff, und 2022 vielleicht wieder Normalität. Wir leben nur noch in Vorgriffen auf unsichere Zukünfte, in banger Erwartung dessen, was morgen oder nächstes Jahr sein wird. Die Gegenwart droht unter die Räder zu kommen. Das Jetzt, der Augenblick ist in Gefahr.
Als Gegenmittel brauchen wir die Kunst, die uns radikal in die Gegenwart zieht – ob das mit live dargebotener Musik geschieht wie der Posaune von Daniel Casimir, den wir gleich noch einmal hören dürfen, oder mit der Sogkraft der Malereien von Franziska Beilfuß. Morgen mag wieder Pandemie sein. Heute Abend ist das JETZT, und dieses Jetzt ist lebendig, es vibriert in den Bildern dieser Ausstellung.
Nehmen Sie das mit allen Sinnen wahr! Ich wünsche uns einen inspirierten Abend.
Vielen Dank.
Geöffnet zu den Veranstaltungen des Kulturhauses und des Kunstvereins sowie nach Vereinbarung Dienstag und Freitag von 16.30 bis 18.00 Uhr/030-4016860, nicht in den Schulferien.
Anmeldung zur Führung mit der Künstlerin unter und www.guestoo.de/Illico.
Verkehrsverbindungen S1 Frohnau, Bus 125 und 220 Frohnau